Leitlinien zur Fastentherapie

Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung e. V.

Experten-Gruppe der ÄGHE:
F. Wilhelmi de Toledo, A. Buchinger, H. Burggrabe, M. Gaisbauer, G. Hölz, W. Kronsteiner, C. Kuhn, E. Lischka, N. Lischka, H. Lützner, W. May, D. Melchart, A. Michalsen, H. Müller, E. Peper, K.-L. Resch, M.  Ritzmann-Widderich, A. Wessel, H. Wichert, R. Stange

Erschienen im Jahr 2002 in der Fachzeitschrift:
Forschende Komplementärmedizin Klassischer Naturheilkunde, S.Karger-Verlag, 2002;9:189–198

Aktualisiert in 2013 :
Wilhelmi de Toledo F1, Buchinger A, Burggrabe H, Hölz G, Kuhn C, Lischka E, Lischka N, Lützner H, May W, Ritzmann-Widderich M, Stange R, Wessel A, Boschmann M, Peper E, Michalsen A.
Fasting therapy – an expert panel update of the 2002 consensus guidelines.
Forsch Komplementmed. 2013;20(6): 434-43. doi: 10.1159/000357602. Epub 2013 Dec 16
Full Text: http://www.karger.com/Article/FullText/357602


INHALT
1.0 Definition des Fastens und verschiedener Formen des Fastens
2.0 Indikationen
3.0 Kontraindikationen und Therapiesicherheit
4.0 Methodik
5.0 Fasten für Gesunde

Download als PDF (Deutsch):  FoKoMed_AEGHE Leitlinien_Juni_2002
Download als PDF (English): Fasting Therapy – an Expert Panel Update of the 2002 Consensus Guidelines  www.karger.com/Article/Pdf/357602


Vorwort
Jahreszeitlich bedingte Schwankungen im Nahrungsangebot prägten in der Evolution den Stoffwechsel aller Lebewesen. Die Fähigkeit, sich diesen Schwankungen durch Depotbildung und deren Mobilisierung anzupassen, ist von jeher Bedingung für das Überleben, insbesondere für das menschliche Überleben.
Fasten ist die Fähigkeit, für eine begrenzte Zeit den Bedarf an Makro- und Mikronährstoffen bei ausbleibender oder minimaler Nahrungsaufnahme über den Verdauungstrakt ohne gesundheitliche Nachteile aus körpereigenen Reserven zu decken. Hinzu kommen eine relative Bedarfsminderung sowie verschiedene Sparmechanismen (z. B. Umstellung des ZNS auf Fettverbrennung, Rückgang der Verdauungs- und Assimilationsvorgänge, die dieser äusseren Verknappung entgegensteuern: Einerseits um den Zellstoffwechsel jederzeit ausreichend mit Energie zu versorgen, andererseits um die Zellerneuerung aufrecht zu erhalten. Aus dieser biologischen Fähigkeit entwickelten sich Fastenkulturen mit religiös-spiritueller oder medizinisch therapeutischer Zielsetzung. Die Integration des Fastens in die Medizin gelang bei uns über die Klassische Naturheilkunde, deren unverzichtbaren Bestandteil es heute darstellt. Als Fastenmethoden haben sich vor allem das Heilfasten nach Dr. med. Otto Buchinger (Buchinger, 1935) und die Therapie nach Dr. med. F.X. Mayr (Mayr, 1921) durchgesetzt. Otto Buchinger entwickelte aus rudimentären Ansätzen ein multidisziplinäres Konzept für eine stationäre Fastentherapie, in der Physio-, Bewegungs- und Ernährungstherapie mit einem gesundheitspädagogischen Programm verbunden sind (Fahrner, 1991). Die Integration der Psychotherapie erfolgte später. Auch Aspekte der religiösen Fastentradition sind heute Bestandteil des therapeutischen Fastens: zu der physischen traten die psycho-soziale und die spirituelle Dimension hinzu.

Diese Leitlinien wurden von einem Expertengremium erstellt und werden von ihm gemeinsam getragen. Ihr Ziel ist die Beschreibung des Therapieverfahrens und die Feststellung von Standards zu Zwecken der ärztlichen Fort- und Weiterbildung, der Orientierung bei qualitätssichernden Massnahmen in Klinik und Praxis sowie der weiteren wissenschaftlichen Erforschung der klinischen Effekte der Methode. Auch sollen sie einen Beitrag zur methodisch korrekten Durchführung des Fastens in den zahlreichen Einrichtungen leisten, die das Fasten zu präventiv-medizinisch und/oder religiös-spirituell motivierten Zielsetzungen anbieten. Für das ärztlich betreute Fasten dienten bislang seit 1978 Angebote im Rahmen der Weiterbildung zur Erlangung der Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren der Sicherung eines Wissensstandards. Hierbei ist auch die Fastenselbsterfahrung ein erwünschter Bestandteil. Seit 1996 können Ärzte im Rahmen eines Curriculums zum Erwerb des Weiterbildungszertifikates «Fastenärztin/Fastenarzt» der Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung e. V. eine ausgewiesene Qualifikation erwerben. Im nicht-ärztlich betreuten Fasten werden seit 1986 von mehreren Einrichtungen Fastenleiter und Fastenleiterinnen ausgebildet. Diese Ausbildung dient auch der Kooperation mit Fastenärzten.


1.0 Definition des Fastens und verschiedener Formen des Fastens

Das Fasten ist der freiwillige Verzicht auf feste Nahrung und Genussmittel für begrenzte Zeit. Bei richtig durchgeführtem Fasten besteht gute Leistungsfähigkeit ohne Hungergefühl. Fasten betrifft den Menschen in seiner Körper-Seele-Geist-Einheit. Unverzichtbar dabei sind:
– eine ausreichende (mind. 2.5 l/Tag) kalorienfreie Flüssigkeitszufuhr (Mineralwasser, Tee) sowie natürliche Anteile in flüssiger Form wie Gemüsebrühe, Obst- und Gemüsesäfte und Honig, max. 2.100 KJ (ca. 500 kcal)/Tag
– die Förderung der Ausscheidungsvorgänge über Darm, Leber, Nieren, Lungen, Haut
– das Einstellen eines Gleichgewichtes zwischen Bewegung und Ruhe
– sorgfältiger Kostaufbau und Hinführung zu einem gesünderen Lebensstil.

Der menschliche Organismus verfügt physiologischerweise über die Möglichkeit der «Ernährung von innen» aus eigenen Nahrungsreserven. Dabei treten Veränderungen im Stoffwechsel und in der Psyche auf, die in der methodisch korrekten Durchführung des Fastens unbedingt beachtet werden müssen (Wilhelmi de Toledo, 1998). Aus dem Wasserfasten entwickelten sich verschiedene Varianten,
die oft grundsätzliche Unterschiede aufweisen – obwohl alle die partielle oder totale Unterbrechung der Nahrungszufuhr beschreiben. In der Umgangssprache werden sie leider oft undifferenziert angewandt.

1.1 Heilfasten (nach Buchinger)
Es handelt sich dabei um einen Begriff, den der Arzt Dr. Otto Buchinger (1878–1966) prägte. Damit verbindet er das ärztlich betreute, stationäre multidisziplinäre Fasten (Wilhelmi de Toledo et al., 1994), das die drei Dimensionen des Menschen berücksichtigt (medizinisch, psychosozial, spirituell) und sich
sowohl für Prävention und Therapie als auch für das «Fasten für Gesunde» (siehe Kapitel 5) anbietet. Traditionell wird das Heilfasten durch die Gabe von Gemüsebrühe (1/4 l), Obst- oder Gemüsesäfte (1/4 l) und Honig (30 g) sowie reichlich Tees und Wasser modifiziert (Buchinger & Lindner, 2000).
Die Gabe von Buttermilch (nach Dr. H. Fahrner) ermöglicht längere Fastenzeiten (siehe Kapitel 4 Methodik). Beim Heilfasten wird neben der körperlichen Dimension (medizinischtherapeutische
Wirkungen), eine psychosoziale Dimension (psychische Veränderungen und Gruppendynamik, die entsteht, wenn Menschen zusammen fasten) und eine spirituelle Dimension (natürlicher Zugang zu höheren Bewusstseinszuständen, die in allen grossen Weltreligionen besonders thematisiert
werden) angesprochen (Kuhn, 1999). Diese drei Dimensionen, die synergetisch wirken, sollten nicht dissoziiert werden. Otto Buchinger betonte ferner die Bedeutung der «Diätetik der Seele» im Fasten wie das Lesen, die Musik, die Bildkunstbetrachtung, die Natur, den Humor und die Meditation
(Buchinger, 1947).

1.2 Fasten für Gesunde
Der Begriff bezeichnet ein Kurzfasten, das auch durch ausgebildete Fastenleiter und Fastenleiterinnen («Nichtärzte») betreut werden kann (Lützner 2001). Die ÄGHE empfiehlt, dass ein Arzt oder Ärztin mit Fastenerfahrung im Hintergrund zur Aufnahme und Supervision zur Verfügung steht (siehe Kapitel 5 Fasten für Gesunde).

1.3 Verschiedene Fastenformen (Klassifikation)
A) nach Gesundheitszustand
– Therapeutisches Fasten (auch Fastentherapie genannt)
– Präventives Fasten
– Fasten für Gesunde (ohne primäre medizinische Intention)
B) nach Art der Betreuung (siehe auch Kapitel 4.4 Strukturqualität)
– I stationär ärztlich geleitet: Kliniken
– II ambulant ärztlich geleitet: niedergelassene Ärzte
– III nicht-ärztlich geleitet: Fastenleiter und Fastenleiterinnen
1.4 Verwandte Methoden der Naturheilkunde

F.X.-Mayr-Therapie
Dr. F. X. Mayr, ein österreichischer Arzt, entwickelte eine aus drei Stufen bestehende «Darmsanierungskur»: Die erste Stufe besteht aus einem Tee-Wasser-Fasten, die zweite aus einer Milch-Semmel-Diät und die dritte aus einer «milden Ableitungsdiät ». Charakteristisch für die F.X.-Mayr-Therapie ist die spezifische Diagnostik von Magen-Darm-Störungen sowie die ärztliche manuelle Bauchbehandlung (Rauch, 1998).

Schrothkur
Eine durch den Fuhrmann Johann Schroth entwickelte Methode, die aus einer restriktiven vegetarischen kohlenhydratbetonten Kostform, dem Reiz von Trocken-Tagen im Wechsel mit kleinen und grossen Trinktagen und verschiedenen Ausscheidungsverfahren wie «Dunstwickeln» besteht (Brosig, 2001).

Molkekur und andere Variationen
Eine Variante stellt die Molke-Kur dar, ein protein-modifiziertes Fasten mit Gabe eines Naturproduktes, der Molke (Anemueller, 2000). Zu den weiteren Variationen des Fasten zählt das Schleimfasten (z. B. aus Hafer oder Buchweizen) oder in Einzelfällen das Tee- oder Wasserfasten.

1.5 Gewichtsreduktionsmethoden, die teilweise schlecht vom Fasten abgegrenzt werden

Null-Diät: Unterbrechung der Nahrungszufuhr (Null Nahrungsenergie über Wochen bis Monate) mit dem Zweck der Gewichtsreduktion bei massiver Adipositas (Liebermeister et al., 1989). Sie wurde stationär im Krankenhaus (hohe Kosten), ohne Hilfsmethoden und Schulungsprogramme durchgeführt. Sie wird heute nicht mehr praktiziert.

Proteinmodifizierte Formula-Diäten (Very Low Calorie Diet oder VLCD): Proteinhaltiges Makro- und Mikronährstoff-Gemisch in Pulverform, das gesetzlich geregelten Herstellungs-Richtlinien unterworfen und zur Gewichtsreduktion frei verkäuflich angeboten wird. VLCD Programme werden ambulant durchgeführt (DHSS, 1987; Wechsler, 1997).

Crash-Diäten: Diäten zur Gewichtsreduktion, die auf Kosten der fettfreien Masse (mit ihrer hohen Wasserbindungskapazität) eine rapide Gewichtsreduktion verursachen.

1.6 Abzugrenzende Situationen, die mit dem Fasten einige physiologische Ähnlichkeiten aufweisen

Hungern
Obwohl die Stoffwechselvorgänge beim Hungern (Elia, 1991) und beim Fasten Ähnlichkeiten aufweisen, unterscheiden sie sich darin, dass Hunger meist einen erzwungenen, chronischen Zustand darstellt, während Fasten freiwillig und zeitbegrenzt, meist bei ausreichend ernährten Menschen durchgeführt
wird. Ausserdem unterscheidet sich der psychische Zustand von Hungernden und Fastenden grundsätzlich: Hunger tritt meistens in Zusammenhang mit Umweltkatastrophen, Kriegen und anderen stressvollen Situationen auf, die per se Angst, Unglück und Leid mit sich bringen.
Der psychische Zustand kann nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch den physiologischen Ablauf des Fastens beeinflussen: z. B. wird der Eiweisskatabolismus und der Verbrauch einiger Mikronährstoffe durch Stress beschleunigt. Hinzu kommt, dass durch die Potenzierung des Neurotransmitters Serotonin ein Stimmungshoch hervorgerufen werden kann. (Huether et al., 1997).

Anorexia nervosa (Magersucht)
Psychosomatische Erkrankung, meist bei jungen Frauen, die zur Verweigerung der Nahrung bei extremer Selbstbildstörung, vermindertem Selbstwertgefühl und übermässiger Kontrolle führt.

Hungerstreik
Freiwilliger Nahrungsverzicht als politischer Ausdruck des Protestes. Oft ein Akt der letzten Hoffnung, bei dem ein möglicher letaler Ausgang im voraus einkalkuliert wird. Die körperlich- medizinische Dimension wird von den Streikenden aus naheliegenden Gründen vernachlässigt.

1.7 Periodische Nahrungskarenz bei Tieren
Das «Fasten» beim Tier ist instinktiv bedingt oder Folge biologischer Zwänge und dient zur Überbrückung der Zeiten, in denen keine Nahrung zur Verfügung steht. Es ist hier erwähnt wegen der Fülle an wissenschaftlicher Literatur. Das Tierreich bietet eine Reihe von Varianten: Einige Vogelarten «fasten», um sich während der Brutzeit nicht von der Brut zu entfernen und sie dadurch vor natürlichen Gegnern zu schützen. Zugvögel «fasten» während der Migration bei gleichzeitiger intensiver körperlicher Aktivität (Le Maho, 1984). Winterschlafhaltende Tiere dagegen reduzieren ihre Energieausgabe durch lethargische Zustände. Königspinguine «fasten» – bei antarktischer Kälte – extrem lange Perioden und können «fastenderweise » ihre Eier legen und mausern (Robin et al., 1988).

2.0 Indikationen

Bei der Fastentherapie handelt es sich um eine fachübergreifende
Behandlungsform, weil sie in eine Vielzahl von Stoffwechselvorgängen
eingreift und deshalb sowohl die verschiedensten Organsysteme als auch die Psyche beeinflusst.
Das Fasten zeigt Wirkungen bei:
– metabolischen Erkrankungen
– chronisch-entzündlichen Erkrankungen
– kardiovaskulären Erkrankungen
– chronischen Schmerzsyndromen
– atopischen Erkrankungen
– psychosomatischen Störungen

(Müller et al., 2001a; Müller et al., 2001b; Peper, 1999; Schubmann
et al., 1999; Wilhelmi de Toledo et al., 1994; Kjeldsen-Kragh et al. 1991; Ditschuneit, 1971).

Da die Fastentherapie die aktive Mitarbeit der Fastenden erfordert,
kann sie nicht einfach verordnet werden. Darüber hinaus spielt die Erfahrung des Fastenarztes für die Indikationsstellung und -leitung sowie die Verlaufsbeobachtung eine entscheidende Rolle (Lischka & Lischka, 2000).

Fastenmethode und Fastendauer müssen individuell nach Indikation
abgestimmt werden und die PatientIn muss einfühlsam dazu motiviert werden. Indikationen und Krankheitsverständnis sind dabei mit dem ganzheitlichen Ansatz der Naturheilkunde gelegentlich breiter, als es in dem derzeit gebräuchlichen ICD-10 Schlüssel (nachfolgend in Klammern) zum
Ausdruck kommt.

2.1 Bewährte Indikationen (soweit möglich nach ICD-10 zugeordnet,
DIMDI, 2000)

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen
Metabolisches Syndrom (E 88.9)
Adipositas (E 65, E 66)
Hyperlipidämie (E 78)
Diabetes mellitus Typ II (E 11)
Krankheiten des Kreislaufsystems
Arterielle Hypertonie (I 10)
Koronare Herz-Krankheit mit allen ihren Risikofaktoren (I 25)
Herzinsuffizienz (I 50)
Arterielle Durchblutungsstörungen (I 70)
Verschlusskrankheit (I 77.9)
Venöse Insuffizienz (I 83, I 87)

Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes
Degenerative Erkrankunkungen des Bewegungsapparates (M 15–M 19)
Rückenschmerzen (M 54)
Rheumatoide Arthritis (M 05 –M 07)
Kollagenosen (M 32, M 35)
Morbus Bechterew (M 45)
Fibromyalgie (M 79.0)
Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen (M 47.9)
Degenerative Gelenkerkrankungen (M 19.9)
Degeneratives BWS-LWS-Syndrom (M 47.2)
Akutes und chronisches HWS-/LWS-Syndrom (M 54.1)

Krankheiten des Nervensystems
Migräne (G 43)
Chronische Zephalgie (G 44)
Psychische Störungen
Depressive Verstimmtheit (F 32, F 33)
Psycho-vegetative Erschöpfung (F 43–F 48)

Krankheiten des Verdauungssystems
Funktionelle Magen-Darm-Erkrankungen (K 30, K 58, K 59)
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) (K 50, K 51)
Chronische Kolitis (K 52)
Chronische Obstipation (K 59.0)
Fettleber (K 70, K 76.0)
Chronische Lebererkrankungen (K 76)

Krankheiten des Atmungssystems
Chronische Bronchitis (J 42)
Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (J 40–J 44)
Asthma (J 45)
Chronische Sinusitis (J 32)
Rhinitis allergica (Heuschnupfen) (J 30)
Rezidivierende Infekte der oberen Atemwege (J 06.9)

Krankheiten des Urogenitalsystems
Rezidivierende Zystitis (N 30)
Dysmenorrhoe und Prämenstruelles Syndrom (N 92–N 94)
Klimakterisches Syndrom (N 95)
Fluor genitalis (nicht infektiös) (N 76)
weibliche und männliche Fertilitätsstörungen (N 97, N 46)

Krankheiten der Haut und der Unterhaut
Neurodermitis (L 20)
Urticaria (L 50)
Akne (L 70)
Psoriasis (L 40)

Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
Infektanfälligkeit (D 80.9)

Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde
Glaukom (H 40)

Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äusserer Ursachen
Allergische Diathese (T 78.4)

3.0 Kontraindikationen und Therapiesicherheit

3.1 Kontraindikationen für eine Fastentherapie
Kachexie
Anorexia nervosa
dekompensierte Hyperthyreose
fortgeschrittene zerebro-vaskuläre Insuffizienz bzw. Demenz
fortgeschrittene Leber- oder Niereninsuffizienz
Schwangerschaft und Stillzeit

3.2 Risikoindikationen bzw. -begleitdiagnosen für eine Fastentherapie
Eine Behandlung sollte nur durch erfahrene Fastenärzte erfolgen.
Suchterkrankungen
Diabetes mellitus Typ I
Psychosen
bösartige Erkrankungen
fortgeschrittene koronare Herzerkrankung
Netzhautablösung
Ulcus ventriculi et/ut duodeni

3.3 Problemmedikationen während einer Fastentherapie
Nicht-steroidale Antirheumatika
Systemische Kortikoide
Antihypertonika (insbes. Betablocker und Diuretika)
Antidiabetika
Kontrazeptiva (eingeschränkte Wirkung)
Anti-Koagulantien
Psychopharmaka (insbes. Neuroleptika und Lithium)
Antiepileptika

3.4 Untersuchungen vor Aufnahme und während einer Fastentherapie Ausführliche strukturierte Anamnese
Ganzkörperstatus
orientierender neurologischer und psychologischer Status
grosses Blutbild, Elektrolyte, Leber- und Nierenparameter,
Harnsäure, TSHbasal (b. Bed. wöchentliche Kontrollen)
Blutdruck, Puls
EKG nach Bedarf

3.5 Mögliche Reaktionen während einer Fastentherapie
Kreislaufdysregulation
leichte Unterzuckerung
Störungen im Elektrolythaushalt
Kopfschmerzen, Migräneanfälle
Akute Lumbago
Muskelkrämpfe
Sehstörungen (vorübergehend)
Flüssigkeitsretention
Schlafveränderungen

3.6 Abbruchkriterien für eine Fastentherapie
Non-Compliance
höhergradige Herzrhythmusstörungen
therapierefraktäre Magenbeschwerden
Störungen im Elektrolythaushalt
(K+ <3.0 mmol/l oder Na+ <125 mmol/l oder Cl- <90 mmol/l)
Symptomatische Kreislaufdepression über mind. 2 Tage (HF
<45/min, RRsys <70 mmHg und/oder RRdia <40)

4.0 Methodik
Wir beschreiben hier die Methodik des Heilfastens nach O.
Buchinger.

4.1 Prozessqualität
4.1.1 Vorbereitung und Umschaltung auf das Fasten
Am Tag vor dem Fastenbeginn:
– Kalorienentlastung (vegetarisch, <4.200 KJ bzw. – Weglassen von Genussmitteln (Kaffee, Alkohol, Nikotin)
– körperliche Bewegung
– geistig-seelische Einstimmung (Gewohnheiten umschalten, weniger
Alltagsaktivitäten, mehr Ruhe).

4.1.2 Fastengetränke
Die täglichen Fastengetränke beim Buchinger-Heilfasten sind:
– 0,25 Liter Frucht- oder Gemüsesaft (möglichst frisch gepresst)
– 0,25 Liter Gemüsebrühe
– Tees, evtl. mit Honig (max. 2–3 Teel. über den Tag verteilt)
– Wasser
Damit werden Kohlenhydrate sowie Mikronährstoffe zugeführt.
Gesamttrinkmenge mind. 2.5 Liter am Tag.

4.1.3 Abführmassnahmen

Abführmassnahmen zu Beginn des Fastens
In der Regel werden am Morgen des 1. Fastentages 30–40 g (je
nach Körpergewicht) Glaubersalz (Natriumsulfat) in 0,5–0,75
l Wasser aufgelöst und innerhalb von 20 min getrunken. Der
Geschmack kann mit etwas Zitronensaft überdeckt werden.
Ca. 30 min nach dem Trinken der Glaubersalzlösung wird
0,5–1 l Wasser oder Tee nachgetrunken, damit genügend Flüssigkeit
zur Verfügung steht, um das nicht resorbierbare Glaubersalz
im Darmlumen zu verdünnen und so durch erhöhten
Druck gegen die Dickdarmwände die Peristaltik anzuregen
und damit die Darmentleerung auszulösen.

Besonders zu berücksichtigen:
Bei Menschen mit
– empfindlichem Magen-Darm-Trakt (z.B. Gallenbeschwerden, Gastritisneigung und/
oder Diarrhoeneigung)
– niedrigem Blutdruck
– Kopfschmerzanamnese
– Lumbagoanamnese
– vegetativer Überlastung
– asthenischer Konstitution
wird entweder die Glaubersalzmenge reduziert oder eine andere
Form des Abführens gewählt, gegebenenfalls stattdessen Einläufe.

Abführmassnahmen während des Fastens
Abführmassnahmen sind notwendig wegen
– reduzierter Eigenperistaltik des Darmes
– fortgesetzter Basalsekretion im Verdauungstrakt (Galle),
bei Nichtausscheidung mögliche Befindlichkeitsstörungen
und sog. «Rückresorption»
– fortgesetzter Abschilferung von Magen- und Darmschleimhautzellen
sowie Absterben von Darmbakterien, die bei
Nichtausscheidung zu Toxinbelastung führen können.

Abführmassnahmen werden jeden 2. Tag (im Einzelfall jeden
Tag) durchgeführt, üblicherweise mit einem Einlauf mit körperwarmem
Wasser, gegebenenfalls mit Kamillenzusatz. Alternativ
kann auch mit 1–2 Teel. Bittersalz (Magnesiumsulfat)
in 0,25 Liter Wasser abgeführt werden oder mit einer Colon-
Hydro-Therapie.

4.1.4 Anregung aller Ausscheidungsvorgänge während des Fastens
Körperliche Bewegung bewirkt eine generelle Anregung der
Makro- und Mikrozirkulation in allen Organen, besonders in
den Ausscheidungsorganen, und somit eine Förderung der
Eliminations- und Regenerationsprozesse (siehe 4.1.5).
– Anregung der Nierentätigkeit durch die tägliche Gesamttrinkmenge
von mind. 2,5 l Flüssigkeit.
– Anregung der Darmtätigkeit (siehe 4.1.3).
– Anregung der Lungentätigkeit, da über die Lungen gasförmige
Stoffwechselprodukte und Säuren durch körperliche
Aktivität abgeatmet werden können.
– Anregung der Lebertätigkeit durch tägliche Leberwickel
(z. B. heisse Wärmflasche im feuchten Leinentuch), üblicherweise
während der Mittagsruhe über ca. 30 min.
– Anregung der Hautdurchblutung sowie des Schwitzens:
aktiv über körperliche Bewegung und passiv über heisse
Dusche/Bad, Hydrotherapie und andere Kneipp‘sche Anwendungen
(Wickel, Packungen), Sauna, Bürsten, heisse
Getränke u. a. Diese Massnahmen haben den Vorteil, dass
sie den leicht frierenden Fastenden Wärme zuführen.
– Ausscheidungen über die Mundhöhle durch tägliche Zahnund
Zungenreinigung entfernen.

4.1.5 Körperliche Bewegung
Individuell angepasste Ausdauer-orientierte Bewegung (während der Umschalttage vorsichtig) sollte täglich und ausreichend erfolgen zur
– generellen Durchblutungsförderung (siehe 4.1.4)
– Erhaltung/Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Muskulatur inkl. Herzmuskel
– Vermeidung einer immobilitätsbedingten Eiweisskatabolie
– Vermehrung der Säureabatmung über die Lungen (siehe 4.1.4) und vermehrte Sauerstoffextraktion durch die Muskelzellen
– Erzeugung von Körperwärme, da die Wärmeproduktion aus den ausbleibenden Verdauungsvorgängen stark abnimmt; um Frieren zu vermeiden, auf warme Kleidung achten zur Vermeidung einer «Erkältung»
– Verbesserung des Lymphabflusses
– Verbesserung des Wohlbefindens und des Selbstwertgefühls sowie
Kompetenzsteigerung.
Körperliche Bewegung fördert das Selbstwertgefühl und die psychosoziale Integration und hat positive metabolische und hämodynamische Auswirkungen.
Anmerkung: Sportliche Höchstleistungen sollten im Fasten vermieden werden.

4.1.6 Entspannung und Ruhe
Der Fastende braucht genügend Zeit für Ruhe und Entspannung,
Selbsterfahrung und Selbstreflexion, ggf. spirituelle Praxis,
Schweigezeiten, Stille, Meditation (Brantschen, 1999).

4.1.7 Ernährung
Die Fastengetränke, -zusätze und die Ernährung vor und nach
dem Fasten müssen frisch, naturbelassen zubereitet sein. Im
Rahmen des Fastens sollte auf hohe Qualität aller verwendeten
Produkte Wert gelegt werden.

4.1.8 Fastenende (Fastenbrechen) und «Aufbau-Zeit»
Das sog. Fastenbrechen geschieht am letzten Fastentag. In der
Regel wird mittags ein gut reifer Apfel langsam und lange
kauend gegessen oder Apfelkompott. Am Abend gibt es eine
Kartoffelsuppe. Die «Aufbau»-Kost ist eine leichte, ovo-lactovegetarische
Kost, faserstoffreich (Vollgetreide, Backpflaumen,
gegebenenfalls Leinsamen) nach individueller Verträglichkeit,
mehr ungesättigte Fette (kaltgepresste Pflanzenöle),
wenig gesättigte Fette. Langsames bewusstes Kauen. Der 1.
Aufbautag hat ca. 3.300 KJ (ca. 800 Kcal), der 2. ca. 4.200 KJ
(ca. 1.000 Kcal), der 3. ca. 5.000 KJ (ca. 1.200 Kcal), der 4. ca.
6.700 KJ (ca. 1600 Kcal). Zwischen den Mahlzeiten weiter
ausreichend viel trinken. Spätestens am 3. bis 4. Aufbautag
sollte eine spontane Darmentleerung erfolgen.

4.1.9 Fastenunterstützende Massnahmen
Obligate fastenunterstützende Massnahmen sind:
– Darmhygiene (siehe 4.1.3)
– Leberwickel (siehe 4.1.4)
– Körperliche Bewegung (siehe 4.1.5)
– Entspannungsübungen (siehe 4.1.6)
– Begleitung des inneren Prozesses, ggf. Krisenintervention
– Ernährungsberatung inkl. Zubereitungstraining
(siehe dazu auch Kapitel 4.3 Naturheilkundliche Gesundheitspädagogik):

Wünschenswerte fastenunterstützende Massnahmen sind:
– Massagen
– spezielle individuelle Krankengymnastik – je nach Beschwerden
– Kneipp-Anwendungen
– Röder-Therapie
– Sauna
– Sonne und frische Luft
– geistig-spirituelle Begleitung (Stille, Schweigen, Exerzitien).

4.1.10 Supplementierung
Grundsätzlich sind im Fastenstoffwechsel die Ernährungsanamnese
und ein erhöhter Bedarf zu berücksichtigen. Es stehen folgende Bestandteile
für eine Supplementierung zur Diskussion:

Eiweiss, Mikronährstoffe (Mineralien und Vitamine), essentielle Fettsäuren.

Eiweiss
Eine grundsätzliche Eiweisssupplementierung halten wir bei
dem derzeitigen Eiweissüberangebot, soweit ein unauffälliger
Ernährungszustand vorliegt und das Fasten methodisch richtig
durchgeführt wird, für entbehrlich. Der Eiweissabbau kann
sogar zum therapeutischen Erfolg beitragen (Wendt, 1973).
In Einzelfällen kann eine Eiweisszufuhr mit naturbelassenen
Produkten (Buttermilch, Joghurt, sonstigen Milchprodukten
bzw. Mandel- oder Sojamilch) sinnvoll sein.

Mikronährstoffe (Vitamine und Mineralien) und essentielle Fettsäuren
Für eine Fastendauer von 2–4 Wochen ist bei Menschen mit
ausgewogenem Ernährungsstatus eine Mikronährstoffsupplementierung
in der Regel entbehrlich.

Bei Verdacht auf marginale Versorgung mit gewissen Mikronährstoffen
oder bei erhöhtem Bedarf kann eine Supplementierung
durchgeführt werden. Über Säfte und Gemüsebrühen
erfolgt eine Zufuhr von Vitaminen und Mineralien. Bei chronisch
Kranken werden Mikronährstoffe supplementiert sowie
auch naturbelassene essentielle Fettsäuren der Form cis-cis
(kaltgepresstes Sonnenblumen-/Leinöl).

4.1.11 Befindlichkeitsstörungen und Fastenkrisen
Befindlichkeitsstörungen und Fastenkrisen können grundsätzlich
auch Heil-Krisen sein.
Allgemeine Massnahmen: empathische Zuwendung, naturheilkundliche,
ggf. medikamentöse Massnahmen.

4.1.12 Fastendauer
Das Optimum des therapeutischen Buchinger-Fastens liegt
zwischen 2 und 4 Wochen, aber immer unter Berücksichtigung
der individuellen Ausgangslage und des Verlaufs. Oft können
kürzere Fastenperioden von Vorteil sein, besonders bei untergewichtigen
Menschen. Zur Umstimmung können einzelne
Fastentage verordnet werden. Bei entsprechender Indikation
können längere Fastenzeiten (bis zu 6 Wochen) sinnvoll sein.
Die ÄGHE empfiehlt als sinnvolle Mindestdauer einer Fastentherapie
8–10 Tage plus 1 Entlastungstag vorher und 3 Aufbautage
danach. Für Gesunde, die nicht aus therapeutischen
Gründen fasten, hat sich die «Fastenwoche für Gesunde» bewährt
(siehe Kapitel 5 Fasten für Gesunde).

4.2 Medizinische Betreuung

4.2.1 Anamnese
Im ausführlichen Anamnesegespräch sollten auch Essstörungen,
die psychosoziale Belastung und oft verschwiegene Medikamenteneinnahmen angesprochen werden. Die PatientIn
muss ausreichend Gelegenheit für Fragen nach Ziel und Methodik
der Fastentherapie erhalten und über die Bedeutung
der eigenen Motivation aufgeklärt werden.

4.2.2 Körperliche Untersuchung
Zu der üblichen körperlichen Untersuchung sollten zusätzlich
auch Konstitutionsmerkmale erfasst werden. Die ÄGHE
empfiehlt konstitutionelle Merkmale wie «Fülle» und «Leere»
bei der Anamnese- und Befunderhebung zu berücksichtigen.
Die Konstitutionserfassung ist bedeutsam für die Fastentherapie,
insbesondere für die Wahl der Fastenform/-methode
sowie der fastenbegleitenden Massnahmen zur Therapieoptimierung.
PatientInnen mit einer «Leere-Konstitution» sind
durch folgende Merkmale charakterisiert: Sie neigen zu einem
niedrigen Body-Mass-Index (<21 kg/m2), sind eher antriebslos,
müde und depressiv, haben kalte Extremitäten, der Muskeltonus
ist hypoton, das Bindegewebe schlaff, der Blutdruck
eher niedrig (<110 mmHg systolisch) und die Herzfrequenz
eher langsam (<60/min). «Leere-Typen» bedürfen einer genaueren
Verlaufsbeobachtung durch die behandelnden Ärzte, da ggf. fastenbegleitende Massnahmen verordnet werden
sollten, um die Verträglichkeit der Fastenmassnahme zu verbessern.

4.2.3 Therapieplan
Die Erstellung eines Therapieplanes soll nicht schematisch,
sondern immer mit einem individuellen Fastenbegleitkonzept
erfolgen.

4.2.4 Laboruntersuchungen
Bei jeder PatientIn müssen folgende Laboruntersuchungen
durchgeführt werden, falls nicht zeitnahe ambulant durchgeführte
Befunde vorliegen:
– Blutzucker nüchtern
– Elektrolyte
– Harnsäure
– Leberwerte
– Nierenwerte
– Blutbild
– TSHbasal.

4.2.5 Apparative Untersuchungen
Es sollten folgende apparative Untersuchungen durchgeführt werden:
– EKG
– Belastungs-EKG
Bei Bedarf sollten apparative Untersuchungen wie folgt ergänzt werden:
– 24-Std. Blutdruck-Messung
– Echokardiographie
– Sonographie
– Farbkodierte Doppler-Sonographie der Gefässe
– Bioimpedanz-Messung (BIA)
– Schlaf-Apnoe-Screening.
Wenn aussagekräftige Untersuchungsbefunde vorliegen, kann
auf die apparativen Untersuchungen verzichtet werden.

4.2.6 Individuelle ärztliche Betreuung
Regelmässige fastenärztliche Begleitung des Fastenverlaufs (siehe 4.4.1).

4.3 Naturheilkundliche Gesundheitspädagogik (bei stationärer Fastentherapie)

4.3.1 Ziel und Rahmenbedingungen
Zur stationären Fastentherapie ist die Erstellung eines Curriculums
nach Gesichtspunkten der naturheilkundlichen Gesundheitspädagogik
erforderlich, dessen Kernelemente Motivation, Schulung und Training sowie Förderung von Bewusstwerdungsprozessen sind. Ziel ist zunächst die Unterbrechung der meisten Verhaltensmuster, um dann durch die naturheilkundliche Gesundheitspädagogik die begleitenden Risikofaktoren langfristig zu reduzieren, die Lebensqualität und die psychosoziale Befindlichkeit zu steigern.

4.3.2 «Diätetik der Seele»/heilende Seelenführung
«Während des Fastens geht es dem Körper gut, aber die Seele
hungert» (Buchinger, 1947). Die Pflege bzw. Wiederentdeckung
von Quellen der positiven Emotionen wie Kunst, Literatur,
Musik, Meditation, Natur sowie auch mitmenschlichen
Beziehungen und Spiritualität stabilisiert die emotionale Balance
eines Menschen. So wird der Verzicht auf krankmachende,
aber Genuss bringende Gewohnheiten im Alltag erleichtert,
da Quellen der Freude ausserhalb der nutritiven Sphäre
erschlossen werden können.

4.3.3 Ernährungstherapie
Die Ernährungstherapie (Theorie und Praxis) ist unverzichtbarer
integraler Bestandteil der Fastentherapie. Nach der Fastentherapie
und dem Kostaufbau sollte die Ernährung nach
den Empfehlungen/Konzepten der fettmodifizierten und
frischkostbetonten Vollwerternährung erfolgen unter Berücksichtigung
der individuellen Verträglichkeit.

4.3.4 Bewegungstherapie
Die Bewegungstherapie (siehe 4.1.5) ist grundsätzlich bei
jeder Fastenden durchzuführen. Ziel dabei ist es, die PatientIn
zu langfristiger körperlicher Aktivität anzuleiten und zu motivieren
sowie Freude an der Bewegung und der Natur zu vermitteln.
Das Bewegungsprogramm und seine Intensität sind auf die individuellen
Gegebenheiten und Kontraindikationen abzustimmen.
Zusätzliche Gymnastik-Einheiten fördern die Beweglichkeit
und Koordination, können aber das Ausdauertraining
nicht ersetzen. Jede PatientIn sollte über die gesundheitlichen Aspekte der
körperlichen Aktivität aufgeklärt werden.

4.3.5 Verhaltensmodifikation
In der Effektivität scheint die Erlebnisdimension kognitiven
Prozessen überlegen zu sein.
Die Verhaltensmodifikation hat eine Verbesserung des Essverhaltens,
vermehrte körperliche Bewegung und Verbesserung
des Stressmanagements zum Ziel. Sie ist unabdingbar für
eine praktische Umsetzbarkeit und beinhaltet kognitive, emotionale
und praktische Aspekte. Die Vermittlung erfolgt interaktiv
in Gruppenarbeit unter Einsatz verhaltenstherapeutischer
Techniken, ggf. auch individuell tiefenpsychologisch orientiert.
Die Verhaltensmodifikation beinhaltet:
– die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und den
Krankheitsursachen
– Motivationsstärkung
– flexible Kontrolle
– Rückfallprophylaxe.

4.3.6 Entspannungstherapie
In der Regel werden Autogenes Training sowie Progressive
Muskelentspannung nach Jacobson durchgeführt. Je nach Einrichtung
können auch Yoga- und/oder Meditations-Einheiten
angeboten werden.

4.3.7 Umfang
Die naturheilkundliche Gesundheitspädagogik ist grundsätzlich
multidisziplinär. Im Rahmen der stationären Fastentherapie
gehören neben dem Basisprogramm folgende Lerneinheiten
dazu mit folgenden Inhalten:
– Ernährung (3–4 h)
– Theorie der körperlichen Bewegung (1–2 h)
– Verhaltens-/Entspannungsstherapie (3–5 h)
– Allgemeine Medizin-Informationen (1–2 h)
– Vorträge, Kreativtherapie und sonstige Programmpunkte zur Diätetik der Seele (5–
10 h)
– Anstreben eines emotionalen Gleichgewichtes
– praktische Anleitung in der Lehrküche (mind. 8 h).

4.4 Strukturqualität

Die Angaben zur Strukturqualität werden nachfolgend in drei Kategorien eingeteilt:
I Stationäres Fasten in Kliniken geleitet durch Fasten-Ärzte
II Ambulantes ärztlich geleitetes Fasten durch niedergelassene Ärzte
III Ambulantes nicht-ärztlich geleitetes Fasten mit ausgebildeten Fastenleiter und Fastenleiterinnen

4.4.1 Behandlungsteam
Das Behandlungsteam im Rahmen der Fastentherapie muss
Fastenselbsterfahrung haben. Wünschenswert ist die Begleitung
der FastenpatientInnen in einer Gruppe mit festem Bezugstherapeut.
Qualifikatorische Voraussetzungen für die I II III Fastenbehandlung
Berufsbezeichnungen bzw. Zusatzqualifikationen
Arzt mit Weiterbildungszertifikat (Fastenärzt ÄGHEa) x x (x)
Ernährungsmediziner (DAEM/DGEMb) x (x)
Oecotrophologe und/oder Diätassistent x x
Bewegungstherapeut und/oder Physiotherapeut x
Dipl.-Psychologe oder Arzt mit Zusatzbezeichnung x
Diätetisch geschulte KöchIn mit Qualifikation zum Vollwertkoch x
Krankenschwester/Krankenpfleger x
Fastenleiter  (AIF, dfa oder UGB) (x) x x
I = Stationäres Fasten in Kliniken geleitet durch Fasten-Ärzte
II = Ambulantes ärztlich geleitetes Fasten durch niedergelassene Ärzte
III = Ambulantes nicht-ärztlich geleitetes Fasten mit FastenleiterInnen
x = obligatorisch; (x) = in Kooperation.
a-ÄGHE (Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung).
b-DAEM/DGEM (Deutsche Akademie für Ernährungsmedizin/Deutsche
Gesellschaft Ernährungsmedizin).
c-dfa (Deutsche Fastenakademie) oder UGB (Unabhängige Gesundheitsberatung).

4.4.2 Räumliche Voraussetzungen
Folgende räumliche Voraussetzungen, ggf. in Kooperation
oder enger räumlicher Verfügbarkeit, sind wünschenswert:

Tab.SIEHE PDF-DATEI….

4.4.3 Apparative Voraussetzungen
Folgende apparative Voraussetzungen sollten, ggf. in Kooperation,
in enger zeitlicher und räumlicher Verfügbarkeit sein:

TAB SIEHE PDF_DATEI

4.5 Ergebnisqualität

4.5.1 Qualitätssicherung
Eine regelmässige Kontrolle der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität
sollte durchgeführt werden. Angestrebt wird eine Dokumentation, die die Ergebnisse der stationären Fastentherapie mit anderen Therapien vergleichbar machen. Ein Peer-Review-Verfahren wird ebenfalls angestrebt. Ärzten wird der Besuch der zwei Fortbildungstagungen der ÄGHE
pro Jahr empfohlen.

4.5.2 Nachsorge
Fasten stellt einen wichtigen Impuls dar, Lebensgewohnheiten
langfristig zu verändern. Die ambulante Nachsorge muss
mit dem Patient besprochen werden – hier ist eine Kooperation
mit Ärzten, Verhaltenspädagogen/ Psychologen,
Bewegungstherapeuten und Ernährungsberatern
und Selbsthilfegruppen notwendig. Die ÄGHE empfiehlt das
Kooperationsmodell zwischen Kliniken, niedergelassenen
Ärzten und ausgebildeten Fastenleitern und Fastenleiterinnen.
Auch stationäre Nachsorgemassnahmen, wie z. B. das Etappenheilverfahren,
sind effektiv. Empfehlenswert ist wiederholtes Fasten (einmal jährlich).

5.0 Fasten für Gesunde

Bereits in der 1. Auflage seines Buches «Das Heilfasten»
(1935) betont Buchinger die Notwendigkeit des «vorbeugenden
Fastens». «Der sogenannte Gesunde soll fasten! Sein jährliches,
ehrliches Fasten soll ihn vor Krankheit und Siechtum
bewahren!» (Buchinger, 1999, Hervorhebungen im Original).
1976 erschien der erste Fastenratgeber (Lützner, 1976). In
Folge dessen entwickelte sich das selbständige Fasten zunächst
mit Hilfe dieses Ratgebers, später dann auch unter der Anleitung
von ausgebildeten Fastenleiter und Fastenleiterinnen.

5.1 Definition des Begriffes «Fasten für Gesunde»
Gesund ist, wer sich wohl fühlt, voll funktionstüchtig ist und
keine Medikamente braucht. Er/sie muss seelisch-geistig stabil
und entscheidungsfähig sein. Essstörungen und Abhängigkeiten
(z. B. Alkohol, Drogen) sind Kontraindikationen.
Der Begriff «Fasten für Gesunde» beschreibt:
– ein Kurzzeitfasten,
– in Eigenverantwortung,
– zur Gesundheitsförderung,
– als Form der Erwachsenenbildung.

5.2 Ziele eines «Fastens für Gesunde»
– neue Erfahrungen der körperlichen und seelisch-geistigen Wahrnehmung und der
Möglichkeit, diese zu vertiefen
– Fähigkeit entdecken, ohne Nahrung gut zu leben
– positives Verzichterlebnis in einer Konsumgesellschaft
– Fasten als starker Impuls zur Veränderung der Ernährung und des Essverhaltens
– Erlernen von Selbsthilfemöglichkeiten für den Alltag (z. B. Kurzfasten bei leichten
Infekten).

Die ÄGHE befürwortet und unterstützt Kooperationsmodelle sowohl
– zwischen Fastenärzte aus Kliniken und niedergelassenen Ärzten
– zwischen niedergelassenen Ärzten und Fastenleiter und Fastenleiterinnen, die durch ausgewählte Institutionen ausgebildet wurden
– zwischen Fastenkliniken und Fastenleiter und Fastenleiterinnen, die durch ausgewählte Institutionen ausgebildet wurden.
Die ÄGHE setzt sich zum Ziel, dass die ausgebildeten Fastenleiter und Fastenleiterinnen möglichst immer einen Fastenarzt als Unterstützung und zur Sicherheit als Ansprechpartner in der Nähe haben.

5.3 Methodik des «Fastens für Gesunde»
Siehe Kapitel 4 Methodik, 4.1.1 bis 4.1.9.

Charakteristisch für ein Fasten für Gesunde ist, dass es entweder
zu Hause – auch berufsbegleitend – in einer Einrichtung
der Erwachsenenbildung durchgeführt werden kann oder in
Ferienorten (Hotels, Pensionen, Hütten oder Zelt). Es wird
entweder allein durchgeführt oder in einer Gruppe, dann
meist unter Führung eines ausgebildeten Fastenleiters. In
jedem Fall wird in eigener Verantwortung gefastet (auch wenn
ein Ärzt dabei oder in der Nähe ist). Für die erste Fastenerfahrung
hat sich die Fastenwoche (8 Tage: 1 Entlastungstag,
5 Fastentage und 2 Aufbautage) unter fachlicher Leitung bewährt,
am besten in einer geführten Gruppe. Die ÄGHE setzt
sich dafür ein, dass das «Fasten für Gesunde» durch Fastenleiter und Fastenleiterinnen, die in von der ÄGHE anerkannten Institutionen
ausgebildet wurden, stets fachkundig betreut wird.


Expertengruppe zur Erstellung der Leitlinien
Dr. med. Françoise Wilhelmi de Toledo, Überlingen; Dr. med. Andreas Buchinger, Bad Pyrmont Dr. Hilmar Burggrabe, Holzgerlingen; Dr. med. Markus Gaisbauer, Kreuth; Dr. med. Gunther Hölz, Überlingen; Dr. med. Walter Kronsteiner, Überlingen; Dr. med. Christian Kuhn, Überlingen; Dr. med. Eva Lischka, Bad Brückenau; Dr. med. Norbert Lischka, Bad Brückenau; Dr. med. Hellmut Lützner, Überlingen; Dr. med. Wolfgang
May, Schwangau; Dr. med. Dieter Melchart, München; Dr. med. Andreas Michalsen, Essen; Dr. Horst Müller, Bad Elster; Dr. rer. nat. Elisabeth Peper, Überlingen; Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, Bad Elster; Dr. med. Martha Ritzmann-Widderich, Rottweil; Dr. med. Anne Wessel, Bad Elster; Dr. med. Harry Wichert, Unterlüß; Dr. med. Rainer Stange, Berlin.
Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung e. V.
Wilhelm-Beck-Str. 27, D-88662 Überlingen
Tel. +49 7551 807-825, Fax -827
Homepage: www.aerztegesellschaft-heilfasten.de

Dank
Die Erarbeitung dieser Leitlinien wurde finanziell unterstützt durch die Erich-Rothenfußer-Stiftung, München.

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Erschienen im Jahr 2002
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd
2002;9:189–198